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22.8.2014
Waisenhaus Langstraße 25 Bacharach
Rede zur Stolpersteinverlegung
Friedrich G. Paff
https://www.youtube.com/watch?v=vNogcfvRf2k&feature=youtu.be Heine du Hadamar der andern Nacht andernachabtransportierter Bruder vergast Verrückter normal Vergaster wer kennt deine letzten Sekunden gifterstickend dein letztes Röcheln universitätsakademische Herren sauberweiße Seelenärzte realitätstüchtig haben zugestimmt mithelfend dich aufgehen lassend in Rauch Heine du Hadamar der andern Nacht andernachabtransportierter Bruder vergast Verrückter normal Vergaster du seist da noch Aussicht auf Arbeitsleistung verwechselt worden. Verwechselter, unverwechselter Bruder in Rauch aufgehend die dich verwechselten, die auch später Unverwechselbaren. Auf deiner letzten Fahrt deine Brüder und Schwestern wie Fische zuckend und stumm die Blicke, die Angst, die Leere. Hadamar Nachtmaar Totenmaar an den Lippen der Ärzte hängen die weißen Schatten der Irren und säuseln den Eid.
Nun kommt dein Name zurück hier in die Gaß .
In die Unnergaß. Ins Waisenhaus, wo du, wie später auch ich, jeden Winkel, jede Ecke gekannt.
Er kommt aus der Nacht. Aus dem Tag. Aus den Feuern der Hölle, die auf Erden schon war. Aus den Wolken. Dem Rauch. Aus dem Gas.
Er kommt zurück in die Stadt. Wo du geboren. Gelebt.
Er steht da sprachlos und stumm auf einem Stein. Die Worte alle genommen ihm.
Nicht mal auf deinem Grab fand dein Name sich. Abhang geworden jetzt. Falsche Asche war darin.
Nirgends dein Name, daß je du gelebt, je aus dem Leben so qualvoll erstickt.
So kommst du zurück. Kommst in deinem Namen zurück. Und da ist alles wieder. Berg, Tal und Strom. Und die alte Stadt. Das Waisenhaus wieder. Nie hast du anderes außer der Anstalt gesehen. Kriegsdienst zuvor. Und Hadamar dann.
Deine Kleider hat man verwechselt. Die falschen zurückgesandt. Tausende vergast.
Gehörst zum Weltkulturerbe du ?
Du teilst mit den Raben das Brot.
Du ißt mit den Felsen die schwarze Stille des Schweigens.
Du trinkst mit den Toten die Nacht.
Du zeichnest auf Schiefer eine Eidechse hin.
Stumm brennt das Feuer in dir.
Nicht sagen zu können, was du erlebt in den letzten Sekunden
die Fahrt dorthin von Andernach aus mit den Brüdern und Schwestern zitternder Angst der Gang in die Kammer die Ärzte das strömende Gift
Geruch beißend ätzend
nichts hebt auf diese Zeit die alle Zeit aufhebt für immer
der Brief aus der Anstalt sie sollen dich holen
das lastet für immer
es gab kein zurück
der fremde Bus nur hielt an zugedeckt ganz die Fenster
nackt ein Zeichen dir auf das Schulterblatt gezinkt
der Brief aus der Anstalt du nahmst wahr was geschah
das minderte nichts
du kamst nicht zurück
zurück kam ein Schweigen nichts sagen zu können darüber als sei nie es geschehen
wie sollte man es auch fassen dem stellen sich
als habest nie du gelebt, existiert
Schatten geworden im Leben schon
aussortiertes Nichts
ausgegrenzt früh
kein Platz ist hier war hier für dich
namenlos, ortlos geworden
nicht mal ein toter Körper
Urne nur einer Todesanstalt mit was auch immer darin
nicht mal das Datum des Tods auch das nur gefälscht
nicht mal verzeichnet die Beisetzung in das Grab deines Vaters was immer von dir hier ankam Asche die nicht mal die deine war von dir aber blieb nichts im Leben schon nicht
es blieben nicht die die mit dir hörten die Schreie oder was immer du auch gesprochen
das Schweigen der Ärzte nur blieb der Pfleger und Schwestern
geschleust durch Anstalten in die Todeskammer hinein
geschleust durch Feueröfen in die Luft hinein
geschleust ins Vergessen aus dem Nichts kommt dein Name zurück
streu auf die alte Bibel :
abgeknickte Dornen
rostige Nägel
weiße Asche
der du die Heimat geliebt deine Stadt das Waisenhaus mit dem alten Schild des weißen Roß davor
ja hier im Waisenhaus waren all die alten Bibeln, Antiquitäten lebte die Familie, starb deine Schwester Emma, wurde mein Vater geboren, meine Brüder auch
Hadamar der andern Nacht andernachabtransportierter Bruder der du über die Geschichte der Stadt schriebst mit fein gestochener Schrift Uhrmacher warst, ein gutes Schulzeugnis, ein Soldbuch, das da zeigt, daß irgendetwas da passiert was deine Sensibilität zerbrach
ein erwachsener Mensch warst du wurdest 46 Jahre alt und nicht da jugendirr nie erwachsen geworden ein Schemen bloß
die Irren sie fressen ja auch für drei wer, wer sagte das hier im Krieg
hier im alten Frankfurter Schrank zwischen der Wäsche war, lag, wurde gehütet der Versuch einer Gegenwehr das Grauen, den Mord nicht zu verleugnen mit falschen Lügen von Kriegsmaßnahmen, Lungenentzündung Briefverkehr mit der Vergasungsanstalt der katholische Pfarrer Eberhardt half deiner Mutter dabei
in meinem Gedächtnis gespeichert jede Ecke der Wohnung, all die Möbel, in denen du auch wohntest, hier schaut mich Taria an, die das Sprechen mir lernte, deren Bräutigam im ersten Weltkrieg fiel und dessen Briefe auch du kanntest
dein Nachlaß spärlichst kam nie hierhin zurück
dein Grab ist Abhang weggewälzt deine Beisetzung nicht mal registriert
doch Pfarrer Hamdorf hielt die Predigt von Jesus der im geringsten unsrer Brüder uns begegnet
wann, wo und wie
was ist Gedenken wenn es dem Vergessen entreißt die Stacheln
die bluten noch noch unvernarbt
in die Stadt dein Name heimgekehrt
in dieses grobe Pflaster zwischen dessen Ritze
ich einst vor diesem Waisenhaus auch hab gespielt
Himmel und Hölle zu hickeln
Hickelches
wer hickelt es nun in der Unnergaß über deinen Namen hin
Kinder sie sind die einzige Antwort auf das "unwerte" Leben hin
ihnen die Zukunft frei hier zu sein
nicht eingezoot in einem Erbe
das da nur global wenn es zum eignen Blick, zur eignen Sicht nicht führt
Pogrome früh die Schatten fallen ließen auf das was hier den irren Schwestern, Brüdern, dir, den Juden, Schwulen und Zigeunern auch geschah
die Uhren, deren Werke du da in der Hand, es baut sie keiner mehr zusammen, die Zifferblätter
durchgerissen, die Zeiger fehlen, niemand zeigt die Stunde an, in der
der Atem dir genommen, erwürgt, gekotzt, erröchelt und erstickt
die Angst davor die vielen Schritte geschubst, nackt fror
was aus normaler Sicht normal Gesunde dir getan
es klirrt das Glas, die Fundamente brechen niemand schlug die Scheibe auf kein Gas entwich
und der Arzt, der wie er sagte, euch alle später "purzeln" sah drehte langsam auf das Gas
Heimat, was ist Heimat
unter deinem Augenlid finde ich sie
es ist die Stumme die ich teile
es ist der Dorn der blüht
und nie vergeht
er läßt sich nicht glätten
ist keine Facette die man wieder einsetzt einfach so
in polierte Kronen, bereinigte Schatten
Chroniken, Blätter, Historiengedusel
das engt oder schraubt sich
zu Legenden empor
er streift alles ab was da nicht sieht
wie das angeblich Normale
Unwertes sich geschaffen und schafft
du bist mir nah, wenn die Widersprüche zu grass bei Verdrängern, auch bei Bewältigern
Frau Neidhöfer mir jetzt auch nah mit all ihren Katzen
keine Medien bestimmen den Atem
der war und ist und wird
aus der Verstummung heraus
die dir ward
sprech ich zu dir
dein Leben war deins weder Mythos noch Nebel
abserviert früh ins Abseits gestellt weiße verschlossene Mauern grifflose Türen und Fenster
bin ein Schatten ich von dir früh schon gemacht
das Quieken der Schweine zu hören die durchs enge Gäßchen der Metzgerei hier ins Schlachthaus getrieben
traumatisch ein Kind noch als deine Schwester dich gesucht und irr nach Andernach hin kam
zu lösen was nicht lösbar nicht aus Rache, Schuld, aus Tragik und Verhängnis
dein Bild erst sah ich spät doch hörte früh von dir, zu früh
und " Hadamar" war Grauen nur
war Schock, Tabu, nicht vorstellbar war Trauma nur und Wahn und Stille
Hadamar, Nachtmaar, Totenmaar
der du Gedichte geschrieben, gelesen Hölderlin, Heine
du tratst in mein Leben ohne zu fragen
warst Grund du immer all meines Schreibens
das sieht in dir das Du
denn nur das Du das rettet uns das Du nur hebt uns aus der Hölle ganz empor
ist Licht der Nähe, Wagnis, Blick
ein Feuer ist es das die Asche überlebt
ritzt es sich manchmal an der Scherbe Glück
wer bewältigt, was da war verdrängt
Sich nicht mehr der vergasten eigenen Irren in der Familie zu schämen, aus Angst selbst dann in Verruf des Dorfes zu kommen, sie nicht mehr zu tabuisieren, unerwähnt zu lassen, o wie viele Familien haben gelernt.
Und die vergessen nicht die, denen dies nicht so gegönnt gewesen, denn spät, allzu spät wandelte sich das kollektive Gedächtnis.
Einzeln waren die Irren. Einsam. Und die, in denen sie unvergessen weiterlebten, waren es lange auch.
Darum sind Vereine, Institutionen, Tagungen demgegenüber so fremd.
Was gönnen Wissenschaftler den Irren nicht ?
Daß du Subjekt bist. Subjekt warst. Kein Material. Kein Objekt. Kein Krankengut. Kein Wissenschaftsgut. Kein Datensatz. Nichts, das dich wieder entmündigt, zum Gedenk- oder Instellationsobjekt macht.
Vielleicht haben die Irren das Du. Und die Normalen nicht. Die schrecken immer davor zurück. Etikette, Paragraphen, Leitbilder kleben an Gittern. Immer der Blick von oben. In meiner Gefängnisarbeit, in der Arbeit mit Psychiatriebetroffenen dein Schicksal vor Augen. In tausend Panzern und Vorwissen beäugen die Therapeuten mit Lupen aus immer nur fremden Glas.
Irre wie du, sie hatten keine Lobby. Keine Vereine. Sie waren einzelne. Schreie. Verstummte. Aussortierte.
Wo alles Kraft und Freude tobte, Rasse , Unterhaltung, Gesundheit und Wahn.
Jeder Zeigefinger paßt nicht zu ihnen, jede Moral auch nicht, jede Teilung der Opfer auch nicht, in gute und bessere, erster oder zweiter Klasse, rassistisch, schwul oder sonstwas, es war ein Wahn, der sie alle traf, der roch, was da unwert für seinen Normalitätswahn war und auszumerzen nur.
Die geringsten unserer Brüder. Unserer Schwestern. Darum ist dies so tief christlich. Weil Jesus sich in ihnen identifizierte.
Und wir davon so weit weg. Wie oft. Wie oft. Wie oft wagen wir das Gegenwort nicht. Stottern nicht das Unfertige, das die Glätte wenigstens anhaucht. Sei es scheu oder schroff.
Stellen wir uns ihnen den Vergasten, Verdrängten und Vergessenen, denn das gehört alles zu ihnen, auch was nach ihnen mit ihnen geschah. Wirklichkeit können wir finden ungeschminkt, die uns rettet aus allen Verblendungen, Sonntagsreden auch. Aus der zwanghaften Spaßkultur, die nur die Rotation einer Nichtfindung ist.
Wirklichkeit und Leben. Das Leben nur zählt, ist die Antwort auf die Kultur des Todes. Auf jede Kultur auch, die schleichend, lähmend Atem uns raubt.
Sie die Opfer sie leben. Sie haben gelebt. Sie schenken uns diese tiefe Liebe.
Zu schätzen das Leben, das immer hinstrebt zum Du.
Du schenkst es mir
Hadamar der andern Nacht andernachabtransportierter Bruder
Gedenken wir auch der Namen, die heute nicht genannt werden, Frau Jeiter, die dein Schicksal teilte.
Zum ersten Mal nach 31 Jahren lese ich hier in Bacharach, hier in der Unnergaß, die mir so nah, wo du mir so nah, hier unter dem Zigeunerwägelchen, wie die schmale Küche wir nannten, hier wo Blüchers Alkoven, und wo auf dem Treppenabsatz in einem Verschlag die Thora verwahrt wurde, lese ich aus meiner Hexe von Bacharach, die selber ein geistiger Stolperstein, jedoch im Weltkulturerbe nicht präsent. Geschrieben in dem Wissen, Brentano und Heine zitierend, daß unsere Kultur, auch die Romantik, unglaubhaft wird, wenn wir verdrängen, was nicht zu verdrängen ist.
Bacharach wo sind deine Juden wo
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Vergessene Namen. Eichberg. Wolf. Baum. Halles. Hallesse. Keller. Sommer. Herzberg. Josef. Abraham. Moritz.
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Das zurückgelassene Vermögen. Das im Sofa eingebaute, entdeckte. Die rechtzeitige Vertreibung. Und die, die zurückblieben, die abtransportierten.
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Thora, Tücher, Gewänder
die jüdischen Flammen Asche und Schrift
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Erschießt uns doch hier.
Die letzten Worte. Das Wort zweier Frauen, Hilflos, wehrlos. Vor dem Abtransport am Bahnhof nocheinmal der Blick nach oben die Burg, das Tal, Heimat. Die Wolfemädchen. die letzten.
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Die Wolfemädchen die auf dem Holzmarkt an der alten Synagoge gewohnt die ohne Namen immer noch hier.
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