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Freitagstexte alt-2007-jeden Freitag ein Gedicht

 

   
2008 nach einer Unterbrechung möchte ich - auf Wunsch auch - jeden Freitag wieder hier einen neuen Text auf meiner homepage präsentieren und würde mich über Ihr feedback/ Kritik freuen an :     FGPAFF@gmx.de
   

 

 

   
19.12.2008  
 

Weihnachtslegende


 

I.

 

Drei Magier, Stroh

und Ochs und Esel

paar Hirten noch

ein Stall mit Futterkrippe

ein böser König

und ein guter Stern


 

so war sie

die Geburt des Herrn

 

 

II.

 

Und er sah

inmitten zweier Augen

kreuzten sich

die Blicke

diese Hand

die ihn jetzt hielt

Abschied schon

im sanften Nicken


 

dieser Vater abseits

und die Magier

schnell vorüber


 

Stroh, das kitzelt

Atem von den Tieren wärmt


 

diese Hirten rauh und gütig

junge Lämmer vor der Brust

 

III.

 

Die ganze Welt

sie kam zusammen

schützend barg Maria ihn

vor fremden Blicken


 

über allem

auf der Flucht

über Abgrund, Stadt und Stall


 

leuchtete der eine Stern


 

 

IV.


 

Friedvoll fiel sein Licht

in die kalte Nacht

strahlend weiß

in eines Engels Angesicht


 

V.

 

Und der Engel ganz geblendet

sah nicht Mensch

und sah nicht Tier

sah den Jammer nicht

und nicht den Streit

Friede sprach er nur

Friede sei

Friede sei mit Dir


 


 

                                                   F.G.P.

 

   
   
12.12.2008  
 

 

 

Das ist das Schöne an der Poesie

daß sie weiß

die Seele ist kein Wort, kein Begriff

alles Wissen um sie ist unnütz

sie ist nicht planbar, vorhersehbar

und doch mitten im Leben

leuchtet auf einmal das scheinbar

Belanglose, Nebensächliche

neu, anders und unvorhergesehen auf

die Poesie atmet sie ganz

die Seele die nie zu fassen

und doch in allem verwebt

 

 

   
5.12.2008  
 

 

 

Vis poetica


 

Die Mikroben haben gesiegt

die Flaschenpost

ist zerschellt

 

Schatten getilgt

Wände gekalkt

 

in den Höhlen Sloweniens

ist eingezogen wieder

das Schweigen

die Bienen verbrannt

 

am baltischen Meer

in den Dünen

kopfüber

in den Augen der Fische

die Weite des Himmels

 

an einem See - Klagenfurt -

Saisonende

ausgegangen die Klappentexte

starren zwei Dichter

in die Leere

in die Glasscheiben

ohne Etikette

 

nichts blieb haften

von all den Worten

 

die Mikroben haben gesiegt

die Flaschenpost

ist zerschellt

 

doch schillert es weiter

als sei

nie etwas geschehen


 

 

   
   
28.11.2008  
 

 

In diesem Echo ist kein

Laut mehr und kein Rufen

die Glätte nur der Wand

das nasse Schwitzen schwarzen Fels

in diesem Echo ist kein

Laut mehr und kein Rufen

der Rauch nur

auf den schwarzgeteerten Dächern

in diesem Echo ist kein

Wort mehr und kein Atem

der Wind nur weht

zerstreut die Asche erdwärts ganz

 

   
   
21.11.2008  
 

 

 

Ein Satz, der anfängt, ohne anzufangen.

Ein Satz, der nie geschrieben wird.

Ein Satz, der nie Papier, Gestalt noch sieht.

Und liegt doch auf der Zunge ganz.

So schwer, daß er das Wort aufwiegt.

 

   
   
14.11.2008  
 

 

Image of dark
Bild eines Dunkels
das aufhellt uns
die Finsternis

in welcher Grelle
nistet die schwarze Rabenfeder

und fliegt uns
zu den verlorengegangen Schatten

 

 

   
   
7.11.2008  
 

 

Ein grüner Handschuh

liegt am Straßenrand

der Daumen zeigt nach oben

und er erinnert mich

daß auch im Untergang

ich zeige nur den Daumen

ganz nach oben

 

   
   
31.10.2008  
 

 

 

Wir haben die Utopien zerstreut

wie Gummibärchen auf den Bahngleisen

die Schnellzüge der Entfremdung

haben uns überholt

die Abfahrtszeiten

sind alle geregelt

nur die Ankunft

ist uns abhanden gekommen

 

   
   
24.10.2008  
 

 

 

                                      Für S. Rieckhoff

 

Und wenn ein Dichter geht

so sind die Worte doch

       Schatten von ihm

und er in ihnen

und wer ihm nahe stand

der sieht die Sonne noch

in all den dunklen Rissen

und spürt den Atem

der doch ganz das Leben

und nie vergeht

und widersteht

 

   
   
17.10.2008  
   

                                       Elbogen/Loket

 

Die Liebe ist eine Brücke
die führt zu der Stadt
auf schwarzem Fels
umschlängelt vom Fluß
bekrönt von der Burg
an den Hängen
grasen die Ziegen
schwirren die Bienen
golden leuchtet
das Herbstlaub
Nebel flößt die Zeit
zu einer Stille
aus unterirdischen Gängen
pocht ein
unvergängliches Beben
Goethe tanzt hier
im leeren Ballsaal
nisten die Raben

   

 

 

 

10. Okt. 2008  
   

Alba


Die Stunde des Raben






Die Stunden des Raben ist einsam

wenn die Nacht wechselt zum Tag

in der Dämmerung

wenn die Sonne noch nicht

über die Gipfel der Berge hinweggerollt

schrillen sie übers Tal

von den hohen Wipfeln der Bäume

grüßen einander im Nebel

die einsamen Raben

blaß noch der Mond

eh er vergeht

hört er ihr Echo

die Singvögel noch verstummt

doch die Raben schon wach

aufgeschreckt von der ersten kaum sichtbaren Helle

ihr schwarzes Gefieder durchzuckt

die Kälte der Nacht noch

der aufkommende Wind

trägt ihr Gekrächze

eh die Morgenröte beginnt

in die Stumme hinein




 

   
3. Okt. 2008  
 

 

Manchmal sind Worte

ein Messer

blind eine Wunde

ein Feuer

das alles verbrennt

dann lösch sie

enthäute ihnen

Seele und Sinn

nimm ihnen

Laut und Gestalt

was einmal gesprochen

nimm es hinweg

in die Asche

der Unzeit

nicht mal einen Schatten

laß davon übrig

die Kraniche des Ibykus

lautlos fliegen sie

über dir hinweg

ohn einen Schrei

 

 

 

26. Sept. 2008  
 

 

 

In der Nacht da schwamm der Mond

still um mich her ich wurde aufgelöst

von all den Sternen das Dunkel umfing

mich ganz nichts kannte ich so fremd

sind wir auf der Welt und selbst aus

Träumen steigt nur Nebel den wir

nicht einmal verstehen und wir wissen

nicht wohin und wozu wir gehen

und bleiben wir stehen können wir

auf Dauer nicht mal ertragen

mit wem spricht die Einsamkeit der Erde

welche Schatten bleiben an ihr kleben

vergeblich suchen wir Spuren die

Wege uns zeigen Oasen der Findung

wo Wüste und Leere sich aufhäuft

Weite die sich öffnet dem Abgrund nur zu

da blüht sie die Rose die Silberdistel

die scharfzüngige Vokalität des Gedichts

 

 

19. Sept. 2008  
 

 

 

Im Herbst da fallen wie Tage

die Blätter hinab

der Sommer war kurz

und aufgebläht nur die Hitze

Winter wird seine

Kälte die alles zerfrißt

diese Sommer der Kulturen

alles nur falscher Schein

glatt und gelackt

touristische Beigaben

schattenlos haben sie gemacht

die Widersprüche

Opfer neu glänzender

nur verzinkt

oder war da doch etwas

das jetzt und hier

anders sich lebt

der Herbst mit klarem Licht

die scharfgezackten Ränder

Blätter über die die Spinnen huschen

sie färben bunt sich

ehe sie zertreten werden

 

 

   
12. Sept.2008  
 

 

 

Seit drei Tagen

räume ich auf

durch Packen

von Papier

zieht sich

ein grüner Grashalm

mein Leben

 

   
5.  September 2008  
 

 

Theatrum   mundi

 

I. 1968

 

Es ist eine traurige Geschichte. Und es bleibt eine traurige Geschichte.  Und soll man eine traurige Geschichte erzählen, darstellen oder auch nur erwähnen ?

 

Am Ende blieb das weiße Leinentuch, Totentuch auf der leeren Bühne und das schwarze Kabel geschlängelt einer Beleuchtungskamera.

 

Die Akteuere, Animateure, bekamen riesigen Applaus und standen vorne aufgereiht, gaben sich die Hand und genossen den Rausch, den sie entfacht und nun entgegennahmen.

 

Begeisterung. Verdient.

 

Sie haben etwas zum Tanzen gebracht. Zur Sprache gebracht. Was in uns versickert tief. Weggedrängt. Außer Acht gelassen. Eine Zahl. 68. Eine Zahl wurde wieder lebendig.

 

Eine Zahl, die ein Jahr war. Ein Umbruch. Ein Leben. Eine Zahl aus dem letzten Jahrhundert.

 

Es war ein herrlicher Sommertag. In Mainz an dem alten römischen Theater vorbei und mit dem Bus dann zum Campus. Anfang Juli, ein Tag nach dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, am 5. Juli abends. am 5. Juli, an dem Carl Arnold Kortum geboren wurde, der erste meiner Familie, der mit Literatur und Universitätskritik zu tun hatte. Am 5. Juli, dem Geburtstag von Clara Zetkin und auch Jean Cocteau, am 5. Juli, an dem vor sieben Jahren Hannelore Kohl Selbstmord beging. Lichtallergie.

 

Draußen schien an diesem Abend die Sonne.

 

Wozu und warum hängt alles im Nebel ?

 

So fing das Stück an. So hörte das Stück auf.

 

Verdeckt,  das Wort verschleiert gemahnt zu sehr schon an den von der RAF ermordeten Schleyer, verdeckt die herrschende Klasse etwas durch, mit  oder im Nebel ?

 

In der Wirklichkeit steckt Nebel. Macht kaputt was euch kaputt macht. Aber vielleicht macht das auch gerade kaputt.

 

Die Phantasie an die Macht. Wie wenig Phantasie, sich immer nur vorstellen zu können, an die Macht zu kommen.

 

Intellektuelle Personen befreit von bürgerlichen Schwänzen, wo sollen die sein ?

 

Befreiend atmete aus der Verklemmtheit im Publikum die Impotenz noch einmal auf, als sie vernahm, die Alte könnte nicht soviel und so schnell schlucken, wie der Genosse Motherfucker meinte spritzen zu können.

 

Luftblasen alles. Luft-blasen her. Her mit der Utopie ! Her mit der Utopie ! Monoton wiederholte es sich. Wie ein kleines zorniges Kind in Einübung der Konsumfesseln schreit : Ich will Eis. Ich will Eis.

 

Wozu und warum ist alles im Nebel ? Warum taut nichts auf ? Bleiben die Ängste unbestimmt ?

 

Wo Hoffnung hernehmen ?  Wenn die Gefahr wächst und das weiß jeder, verspätet sich das Rettende.

 

Nun im Nebel sind Raben. Seit jeher. Die Begleiter der Galgen, wer will Begleiter Odins auch. Götterboten ? Nein einfache Worte, aber, aber, aber fliegen sie durch die Texte Hölderlins. Ihr Kraaa verstummt nicht und übertüncht sich nicht mit falschem Lack. Schwarz fliegen sie durch die Utopie und picken in der Nacht schon stumme Saatkörner einer Zeit, deren Morgen vielleicht nie kommt.

 

Das Feuer der Poesie ist rauchlos. Es dampft nicht. Hell lodert es auf oder erlöscht blitzartig.

 

Der eigene Körper. Ja, wo ist der eigene Körper ?  Den eigenen Körper entdecken. Das ist nicht 68. Das war immer. Das ist immer. Das ist jetzt.

 

Wer bestimmt den eigenen Körper ? Wer setzt ihm die Grenzen ? Wie erfährt der eigene Körper sich ? Immer durch den andern.

 

Durch wieviel Brillen hindurch ist das Eigene immer das Besondere, Individuelle und doch fließend das nicht nur Abgegrenzte. Die ganze Soziologie steckt im Lack eines Fingernagels. Es ist dieselbe mittelalterlich scholastische  Frage, wieviel Engel auf einen Stecknadelskopf passen.

 

Und wie schnell laufen sie in Schablonen, flüchten, rennen, rasen, fliehen. Ich bin das und du das, und nicht nur, sondern weil und darum und deswegen und wozu und damit und fertig und aus und immer wieder nur dasselbe Spiel.

 

Einmal geoutet für immer verschlossen.

 

Das Spiel der Geschlechter. Schwarze und weiße Felder. Top and bottom. Die Poesie ist das Feuer, das alle Klötzchen verbrennt, in ihren unsichtbaren Flammen züngeln im Kampf, im Tanz von Seele, Phantasie und Körper tausend Facetten. In jedem Gedicht outet sie sich immer wieder neu und anders.

 

Wozu und warum hängt alles im Nebel ?

 

Wer am Ersticken ist, fragt sich das nicht, Atem ist alles.

 

Tauchen und Fallschirmspringen ! Beides zugleich. In die Höhe. In die Tiefe. Nur der Baum, der tief wurzelt, vermag seine Äste himmelwärts auszustrecken. Wer nur hoch will, fällt wie ein FDP - Politiker  und öffnet den Fallschirm dann nicht.

 

Wo fängt das Theater an ?  Wo hört es auf ? Am Ende wissen wir es nicht. Das Leben ist ein schlechtes Stück. Aber dem Tod ist das egal. Er spielt es zu Ende, so oder so.

 

Gott bleibt hinter dem Vorhang verborgen.

 

Aber beim Theater begrüßt uns der Leiter der Theaterwissenschaft. Die Institution auf die Fensterbank.

 

Die Flüstertüte in der Hand. Grau. Roter Trichter und gelbes Band, ein yellow ribbon. Doch vermißt wurde hier niemand.

 

Dieselbe Flüstertüte wurde in dem Stück dann auch verwendet. Und man sah wieder eine Schreibmaschine.  Wie museal ist man doch schon geworden. 68 eine Revolution ohne Internet und ohne Computer. Aber im Hörsaal. Der Hörsaal paßt genau. Zwei große Türen. Die eine geschlossen. Kein Eintritt. Die andere wird dann geöffnet nach der Rede des Leiters. So bildet man schon Gesellschaft ab. Den einen bleiben die Türen für immer verschlossen. Den andern gewährt man zum gegebenen Zeitpunkt Eintritt. Was erwartet mich in dem Hörsaal ? Ich hatte ewig keinen Hörsaal betreten mehr, alles  Universitäre gemieden, alle geschlossenen Räume feinzüniger unaufgerauhter intellektueller Glätte . Mit allem Mut und Überwindung meines Widerstands ging ich durch Dantes Höllentor.

 

Der Leiter der Theaterwissenschaft versinnbildlichte uns zuvor in nur einem Satz den ganzen Widerspruch des Stücks. Man revolutioniert gegen die Mediengesellschaft und ihre Vereinnahmung und ist doch stolz und erfolgreich nur , wenn man wahrgenommen wird von ihr, auf Spiegel–online.

 

Man bedankt sich bei der Landeszentrale für Politische Bildung, die am Rhein längst das Gewissen ersetzt und von oben im Weltkulturerbe die schwarzen, zu sehr braunen Flecken der Geschichte auflistet, sortiert und poliert.

 

68 ja das war eine akademische Veranstaltung, aber das Theater ändert sich, der Leiter der Theaterwissenschaft klärt uns über sein neues Verständnis auf, alles ist Theater, Demos, Messe, bestimmt meine Tanzgruppe von damals auch. Meine Tanzpartnerin, mit der ich in Rumänien, Frankreich, Tunesien, Libyen auftrat, Studentin der Germanistik und Philosophie hier in Mainz, sprang früh in den Tod vom Gebäude der Psychiatrie. In aller Öffentlichkeit. Aber es war kein Theater.

 

Das Theater fängt vor dem Theater an. Darum meide ich es ja immer.

 

Ich sehe in Gießen immer die Landfrauen in Roben und Stolas oder Stolen aus den Bussen steigen, ehe sie die Stufen erklimmen der Melpomene und Thalia.

 

Das Theater fängt vor dem Theater an. Alles ist Theater, Spiel und doch todernst. Kann sich das Theater mit der Wirklichkeit messen? Ich glaube kaum. Wie langweilig ist die Satire geworden. Die Wirklichkeit übertrifft sie präziser und weit treffender. Und wenn die Satire gelingt, verletzt sie und man läßt es lieber sein. Wahrnehmung ist alles.

 

Die Antwort auf alles ist Wahrnehmung. Aber das heißt ja, sich selbst in Frage stellen zu können.

 

Das Stück zeigte die Extreme auf, hin bis zum Urschrei, aber mied sie. Das wurde einem vor dem Stück schon klar. Beim Ausschank schlichte weiße Pappbecher, keine Weingläschen mit Nostalgieetikett. Einfacher Landwein, kein Fusel, aber auch kein Kabinett,  nicht extrem mild oder trocken, medium, in der Mitte finden sich alle Kompromisse, Aufarbeitungen, nachträgliche Sichtweisen.  Halbtrocken. Von jedem etwas. Ohne die Extreme zu sehr zu berühren. Keine Nächte mehr mit Wodka und Whisky. 68 das war auch eine Revoltion der Nacht, die nie Tag werden wollte, romantisch verhaftet blieb.

 

Ein kleiner Ansteckbutton mit der Zahl 1968 als Eintrittskarte zeigte die Kurzsichtigkeit der Bewegung, die nicht längerfristig mehr ins Herz stach, sondern in die Anzugsweste. Leider fehlten drei Akteure, es haben sich wohl auch keine Statisten gefunden, sonst hätte man für jedes Jahr nach 1968 einen Nachgeborenen auf der Bühne gehabt.

 

Die Farben der Bekleidungen waren auffallend grün und rosa gehalten.

 

Grüne Frösche ohne Blutstropfen. Die verzauberten Prinzen der Revolution.

 

Rosa ballettartige Strümpfchen ersetzten die nackte Haut. Berührungen waren so gedämpfter.

 

Utopie her, erinnerte so etwas an Jugendherberge und an meine Mitreisenden in der S-Bahn, die von einer Frankfurter Tagung kamen, alle mit dem anmaßenden Button auf Herzhöhe, geleitet von Gottes Geist.

 

Ein knalliges Rot hatte nur das Schlagzeug, das lange auf der Bühne leer dahin döste und verwaist war, ehe dann schreiend die Akteure ins Publikum liefen und das Schlagzeug dazu aufrüttelnd donnerte.

 

Das Stück gefiel mir. Ich war überrascht. Aber wie lang ist es her, daß ich ein Theaterstück gesehen habe. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht können Amateuere nur noch so spielen. Ich mag das Gestelzte, Überkandidelnde nicht so sehr. Im Theater ist doch alles nur gewollt. Ich habe Angst vor dem Gespauze, Geschnalze, Gespucke. Nicht das ich was dagegen habe. Schön auch für die Lyriker, die mit solchem Zungenspiel jede Stadt auf ihren Erfolgstourneen gleich bespauzen, nur den Namen und das Land noch schnell abändern. Und das Publikum fühlt sich geschmeichelt, ein Gedicht über ihre Stadt. Es ist auch international verständlich je tierischer es brummt und so im Trend. Ich finde es nur öde. Niesen ist schön, befreiend, aber kurzfristig. Langweilig eine Avantgarde, die in solcher Lähmung des mal Neuen erstarrt und in der Provinz dann noch kaugummiartig hingezogen überdauert. Die Avantgarde ist immer schon so altmodisch wie die Bücher zu den gerade erst passierten Katastrophen. Mir tun auch die Schauspieler leid, die immer in einer Stadt bleiben müssen, damit sie dann nach so und soviel Jahren abgesichert und festangestellt sind und im Alter dann durch jede Rolle sich drängen zu tingeln. Und immer wieder Goethe und Schiller spielen zu müssen. Sire geben Sie Wiederholungszwang. Und das Publikum schnauft und hascht danach.

 

Dario Fo habe ich nie gesehen. Ich habe Angst, Comedy wird alles, Unterhaltungskitzel, Feuer, das schnell verraucht, aber nicht glüht.

 

In dem Stück wurde tatsächlich noch gesprochen. Auch im Chor. Und die Worte gut eingesetzt. Nicht zuviel. Nicht zu wenig. Es fand also das von mir befürchtete Nur–Happening und der Nur-Klamauk-Uz  nicht statt.

 

 

Ich saß natürlich mal wieder an der falschen Ecke. Da wo gekocht wurde. Stundenlang. Das ganze Stück hindurch. Und es dampfte, dampfte immer mehr. Und roch . Roch. Der Grund, warum ich ja nicht in die Großraumkinos gehe. Diese Cinema-Centers, wo sie tatsächlich eimerweise Poppcorn essen. Ich fresse alles in mich hinein, leider, darum bin ich ja so dick geworden, und meine Frau weiß, daß ich alles vertragen kann, mein Bauch glücklicherweise oder unglücklicherweise ein Mülleimer ist. Aber ich kann nicht ertragen, wenn neben mir einer knispert und Poppcorn müffelt. Ich bekomme Blähungen davon. Ohne auch nur einen Bissen davon im Mund gehabt zu haben. Und nun vor mir während der imitierten Sexorgien auf der Bühne wurden die Karotten kastriert, in Stücke zerhackt und geschnitten, alles in den dampfenden Topf hinein. Ich dachte an Bölls katholisches  Kohlessen, das die Sinne zu dämpfen hat und vor allem an Heinrich Heine. Ging es in dem Stück ja doch auch um Deutschland. Ein Nachtstück also im krähenlosen Nebelland. Miasmengeruch der Zukunft im Schoß der Harmonia.

 

 

Ich glaube, ich liebe am Theater das Archaische nur. Wo es sich griechischem Ursprung nähert. Mysterienspiele. Rituale. Stierkampf in der Sonne Andalusiens schattenlos auf den billigen Plätzen. Ich liebe Arenen. Keine Theater. Kampf der Häute, Worte und Sinne. Nun so ein Hörsaal ist auch eine Arena, eine Arena blutloser Aussortierung und Anpassung, nicht wahrgenommener Sichtung , in dem das Besondere sich tilgt zu Gunsten des Konvertiblen. Der Herrschaft der Aufklärung, die ihrem Gegenteil verfällt. Diziplin der Papageienanstalten. Objektiv versteht sich.

 

Die frühen Theater brauchten noch Masken, die heutigen haben keine Gesichter mehr.

 

Frontal vor dem Publikum standen die Akteure oft in einer Reihe.

 

Ja, auch das war ein Fehler. All das Frontale. Das paßt zum Militär, zu Jesuiten, Fundamentalisten, scheuklappigen Wissenschaftlern.

 

Frontal vor Hegel. Vor der Weltgeschichte. Der Revolution. Dem Kanon. Dem Markt.

 

Frontal die Kette zusammenhaltend in den Wasserwerfern, die Einsamkeit fraß nach innen und blieb.

 

Und doch man erlebte eine Zeit, in der Umbruch zu sein schien, in der alles möglich wurde, weil man selber begann sich allem zu öffnen. Weil man keine Wahl hatte, um nicht draufzugehen. So nicht und so nicht.

 

Einsam ein kleiner Stock lag an der Rampe. Ein zerbrochener Dirigentenstock.

 

Den Aufbruch von 68 schmeckt nur, wer die Erstickung und Lähmung vorher erlitten. Degenhards gelangweilter Sonntagvormittagssong.

 

Ich habe ein Flugblatt gemacht mit Beate, Karin, mit...zu dritt. Ich grinse. Nicht ich habe mit...., wir haben ein Flugblatt gemacht.

 

Je t’aime. Zäh, schmelzend und himmlich. Das Stück spürte, was zeitlos war und blieb, bleiben wird auch immer. Auch wenn die Paare nie aufgehen, und mitunter alleine man den eng körperdrückenwollenden Blues tanzen muß. So auch die kleine energische kampferprobte Chinesin, Rotgardistin, Aktivistin, die eben noch schrill parolenhaft schrie, kommandierte, auftrampelte, stolzierte, und die zart jetzt ihre Hände sich selbst auf die Epauletten ihrer Uniformjacke legte, tanzend ohne ein Gegenüber , doch ganz sich selbst erlebend.

 

Mir gefielen die antiken Elemente in dem Stück. Die drei strickenden Nornen. Perückenhaft mitunter Parteisekretärinnen schicksalhaften Orakels. Doch dann blieben ihre Stühle leer. Drei leere Stühle so leer wie auf einmal die Tafel, die ansonsten den antiken Chor, das Gemurmel, Geraune kollektiven Unbewußten ersetzte. So sorgfältig in großen Buchstaben Latina Antiqua geschrieben, gemalt exakt gleichmäßig das Wort Antiautoritär.

 

Ja, ein leeres Flugblatt ist die Utopie.

 

 

Ja und dann die Zitate. Sie blätterten und blätterten, beklemmend fast die Ruhe, das Rascheln und das Nichtgeschehen und schwiegen. Das Schweigen der Zitate ist ein Atemholen. Das Schweigen der Lämmer nicht.

 

Ich bin Tim, 21Jahre alt ...

 

Ich bin Nina, 23 Jahre alt ...

 

Ich war ohne Namen.

 

Ich werde.

 

Im Theater dieser Welt sind wir nicht nur die Aktivisten, sind wie die Regisseure auch. Das war 1968.

 

Alles dreht sich ums Geld. Das ist Heute. Die Revolution von damals fand im Satten statt. So verpuffte auch schnell der Hunger oder speiste sich dann gemächlich und verrentet in den gebohnerten Fluren der Institution.

 

 

*   *   *

 

 

II.  2008

 

 

Alles ist Theater. Wo fängt Theater an ? Wo hört es auf ? Der Weg zum Theater ist schon Theater, die Erwartung, das was man mitbringt auch.

 

Theater ist eben Verwandlung. Verzauberung. Und Zauber gelingt nur, wo Resonanz ist. Schön, wen niemand mehr weiß, wer verzaubert wen ?

 

Wieviel Stücke vergißt man im Konsumrausch oder sie sind nur ein Strohfeuer, so wie die kurz anhaltende Euphorie und Begeisterung bei Kirchentagen.

 

Gutes Theater hat sich in die Erde zu graben, in den Alltag, in die Seele. In die Tiefe als auch in den banalen Dialog am nächsten Tag mit den Nachbarn.

 

Funke, der glüht, der anhält und an den man sich auch noch erinnert nach Jahren. Weil er eben etwas aufgebrochen hat. Weil er neue Wahrnehmung war. Neue Erfahrung von Dialog. Neues Denken auch. Theater ist eben nicht Vernebelung. Verblendung. Ist gerade in der Nichtscheu vor dem Dunkel Helle. Zauber der Aufklärung. Die auf einmal Sprache verleiht, wo vorher Stumme nur war. Bewegung wo nur Erstarrung.

 

Gute Schauspieler sind krächzende Raben, die den Nebel lichten.

 

Theater ist nicht nur Spiegel. Abbildung. Wiederholung des Alltags, der Langeweile, der Seifenopern. Das ist langweilig. Es zerbricht die Facetten. Schafft in den gläsernen Scherben neue Perspektiven, Brechungen  und Lichtstrahlen.  Vermag in der beklemmenden Enge von Schweigen und Ergriffensein ein helles Klirren in der Luft sirren zu hören.

 

Er hatte gar keine Erfahrungen von Theatern. Kaum. Zu Weihnachten mit der Volksschule nach Wiesbaden, Märchen, die er alle vergaß. Aber der große Saal. Geschwungen. Gold und barocken. Das blieb haften. Leuchter. Glanz.  Und das da ein riesiger Vorhang war, der sich aufzog.

 

In Bielefeld dann mit Bekannten, er in seinem ersten grauen Anzug, noch keine zehn Jahre alt, die Oma, wie sie darüber hinwegschwieg, ein Glück, denn er schämte sich so,  daß er die Hose bepisst hatte, weil er in der so fremder feinen erhabenen Umgebung nicht gewagt nach der Toilette zu fragen.

 

Als Student dann ein Studentenabo.  Es war derselbe Tisch, dieselben Requisiten bei Brechts Mahagonny-Oper und bei Zuckmayers Fröhlicher Weinberg. Er hatte keine Lust, den Tisch länger mehr zu sehen.

 

Es war die Zeit, als das Publikum sich noch aufregte. Über die Zoten aus dem Klohäuschen neuaufgelegter Leiden eines alten Werthers.

 

Als das Publikum noch verändern wollte und diskutierte. Über Luther und Fugger, Bauernkriege und Jetztzeit. Als das Schauspiel nicht nur Schau-spiel war, sondern Anstoß.

 

Dann war da Experimentiertheater in einer alten Zigarrenfabrik. Xaver Krötz. Er kam von der Uni dahin mit seiner Tasche, die er neben sich stellte. Stundenlang diskutierte da ein Ehepaar über Raten und Abbezahlung einer Waschmaschine. Auf dem Höhepunkt des Stücks liefen die Kontrahenten zürnend ins Publikum und stolperten über seine Tasche. Alles lachte. Das Stück war dahin. Der soziale Konflikt auch. Beim zweiten Lauf ins Publikum stoppten sie vorher. Die Tasche war längst zwischen seinen Beinen.

 

Dann hatte er das Glück, der Preis war viel Alkohol, die besten Theater der Welt zu sehen, die modernsten Dialoge, schrillsten, härtesten und unbeschönten. Die Namen der Schauspieler wurden nie verzeichnet, die Regie war der Zufall, der Zwang, die Einmaligkeit und die Ausweglosigkeit. Das Stück hatte keinen Namen. Man konnte trinken dabei. Es gab keine schmutzigen Gläser. Man trank aus der Flasche. Schnell merkten sie, daß er kein Polizeispitzel war. Der Taxifahrer warnte, da können sie nicht hineingehen, da sind 120 Jahre Knast versammelt. Die Ranch lag daneben, die Heimstatt der Obdachlosen, Arbeitslosen und Geschiedenen. Es wurde seine Stammkneipe. Von der er dann ging, als er wegzog, ohne sich zu verabschieden. Warum sollte man für schlechte Dialoge Geld bezahlen. Die Straße, die Gespräche am Morgen der Auffangbecken, die Gosse ist die Bühne, in der die Sprache noch Feuer aus dem Pflaster ist.

 

Der Glanz der Theaterwelt aber stach ihm ins Auge und die fernen Reisen, als er nach der Wiedervereinigung die riesigen gemalten Prospekte von Meiningen sah. Sie roch. Ihren Staub.  Traumbilder der Seele. Märchenbilder. Kaleidoskope entworfener Miniaturwelten.

 

Bühnenbild. Schminke. Ewige Fasnacht. Immer sich verwandeln zu können. Ohne je zu sein, was man nur ist. Aber was, wer ist man ?  Wo fängt der eigene Körper an hinter, vor oder in welchen Masken ?

 

Sich entwerfen zu können in Rollen, Übergänge, Erfahrungen im andern, die Narrenkappe Pans auf der Stirn und doch das Denken nicht auszuschalten und verwandelt durch den Traum wandern zu können.

 

Ja, das Stück blieb in ihm haften, das er in Wiesbaden irgendwann einmal sah, der Traum, aber so hieß es nicht, wohl wie er jetzt nachschlug, die Trauung von Gombrowicz.

 

Das Theater als Lehranstalt vermochte er nie zu ertragen, auch nicht die Verrenkungen Brechts. Wohl aber dessen anarchisch genüßlichen Witz.

 

Ihn stört schon, wenn an der Vergasungsanstalt Hadamar, wo man seinen Onkel mordete, steht, Hessische Bildungseinrichtung.

 

Auch die Pflastertreterei, Stolpersteine, die keine sind, statt in Augenhöhe wie in Frankreich kleine Porcellantäfelchen...gazed pour les nazis

 

Theater verleiht Macht. Einmal durfte er sie genießen. In Litauen. In der Oper. Ein Kollege dort hatte eingeladen, teure Karten. Also mußte er hin. Schaffte es kurz vor der Pause. Die Bierflasche noch in der Hand. Da tranken die Lyriker noch zusammen. Eine alte Frau, sprach Worte Deutsch, solche die man von Lager und Inhaftierung her kennt. Sie geleitete ihn zu einem noch freien Platz, zu dem man ohne zu stören hingelangen konnte.  Auch nach der Pause saß er wieder dort. Alleine. Alleine in der Präsidentenloge. Es erinnerte ihn an Zeichnungen Goyas. Von hohen Balkonen. Solche Aussicht. Solche Perspektive. Man sah den ganzen Orchesterraum, das ganze Publikum...unter sich. Ja, Theater erhöht. Veredelt.

 

 

Auch die Bereitschaft von Marburg nach Mainz am Nachmittag noch zu fahren, um 68 sich anzusehen, löste ihn doch aus seiner Vereinzelung und Isolierung schon heraus. Offener war er als sonst und so kam es, daß in seiner offenen Erwartung er Leute anzog und im Zug stets im Gespräch sich wiederfand. Am Bahnhof nervte ihn erst, daß vor ihm am Automat einer nicht zurecht kam, so daß er schnell dann seinen Geldschein hineinstach und nicht auf den Studenten hörte, der Halt sagte, und er ihm dann doch für zehn Euro sein Wochenendticket abkaufte. Bis Gießen der junge Türke, den er wiedersehen wird, auf der Rückfahrt ein Student der Altphilologie, eine Rumänin, die ihm den Campus zeigte, eine alleinerziehende Eriträerin, die ihm ihre Konflikte berichtete mit dem Erzeuger, der so wenig Vater sein kann und das war doch schon das Stück, das was 68 nicht so im Blick, die Verantwortung auf Dauer, selber Vater oder Mutter sein zu können, freudige Überwindung eigener Nabelschau und Egoismus. Vor dem Hintergrund seiner Familie Antwort allein auf „Euthanasie“ und „unwertes Leben“.  Der Nigerianer am Bahnhof, fremd sich ganz hier fühlend. Der Busfahrer, stolz Makedonier, der ihn so gut beriet. Die Kneipe, der Wienerwald gegenüber dem Bahnhof war nicht mehr, und Bistro mochte er nicht, aber diese kleine Säuferkneipe, schnell ein Bier, gegenüber Crazy Sexy, wie sie da hineingingen und herauskamen, Handy in der Hand, die andere Hand in der Hosentasche, und der eine ganz schwarz Angezogene auf dem Rinnstein der Straße mit seiner Whiskyflasche, trank noch immer, als er nach Beendigung des Stücks wieder schnell vorbeischaute hier.

 

Er hatte sein Aufräumen unterbrochen, zu dem er endlich gekommen, nachdem die Volkshochschulkurse Deutsch für Ausländer zu Ende. Die nun in Gefahr sind, von oben her Papageienanstalt zu werden, zwangsweise Integration, Einschüchterungen, Prüfungsängste, erniedrigt ohne Scheu zu unserer Art Toleranz, ohne Respekt vor dem Fremden mehr, ohne ihnen zu begegnen da, wo sie sind. Sprache, die nicht ihnen gehört, die ihnen aufgenötigt, gezüchtet wird, vorgerastert alles, Formulare, die nur dazu dienen, eigene Sprache nicht aufkommen zu lassen in der Fremde. Phonetische akribische Quälereien.

 

Aber beim Aufräumen kam ihm so vieles in die Hand, das er vergessen. Hoffnungen junger russischer Lyriker, die keiner mehr kennt. Widmungen auch von Autoren, die nun in aller Munde sind.

 

Er schafft sich eine Bühne, stellt um sich herum all die Bücher, der er nur überleben konnte, indem er alles verdrängte, wegschob.

 

In Moskau, Vilnius, sonstwo gelesen, lange in seiner Heimatstadt nie, nie in der Kreisstadt, nie in Bingen, nie in seiner Landeshauptstadt Mainz.

 

Nach über 30 Jahren erkannte er den Campus dort wieder. Ja, da war er einmal. Und er erinnerte sich, wo seine Sprache begann. In Mainz. Er war acht, schulunfähig, weil er nicht sprechen konnte. Seine Tante versprach ihm, in Mainz gibt es Bratwurst wie auf Winzerfest immer. Sie ging mit ihm in die Klinik. Weiße Kittel. Sie wollten ihm in Kehle und Hals gucken. Er schrie. Rangelte. Sollte 14 Tage zur Beobachtung, ob organisch ein Fehler vorliegt der Sprechwerkzeuge. Als er die große Klinikstür hinter sich hatte, kam es aus ihm heraus : „Die Arschlöcher“.  Seine Tante war überglücklich. Es war das erste korrekt ausgesprochene Wort von ihm. So betrat er als kompetenter Sprecher die Bühne der Welt, durchlief die Schulen, auch wenn er sein Studium nicht beendete, die Scheine nicht abholte.

 

Kommunikation dort nicht möglich mehr war. Aber die Erkenntnis, das alles Material nur zu sein hat. Durch Fallstudien gelangt man nach oben.

 

All das kam in ihm hoch. Wo ist das einzige Exemplar seiner Arbeit geblieben, die damals sein Professor veröffentlichen wollte ?

 

Wo ist Lyrik fragte sein russicher Kollege in einer modernen Buchhandlung in Eisenach, der Stadt von Luthers Wort. Und die Verkäuferin im Lande der Dichter und Denker antworte höflich, schauen Sie doch mal beim Basteln oder beim Kochen.

 

Das Problem ist, es gilt hier nicht, Romane zu schreiben und die werden nicht geschrieben die Romane, die eine andere Wahrnehmung haben.

 

Die Intrigen werden geschluckt wie der Verrat. Nur der Erfolg zählt. Eine autonome Position am Rande verunsichert. Niemand würde merken, wenn die Bestseller aus dem Telefonbuch lesen würden.

 

Was ist der Erfolg wert, wenn er blind macht ? Wer viel jammert, der wird dann auf goldenen Tellern gereicht hin und her von Preis zu Preis.

 

Die Frage ist nicht das Stück 68. Die Frage ist, wozu studiert man Theaterwissenschaft ? Wie kann man überhaupt noch etwas aufführen, wo alles sich überhitzt, verramscht, nur aufgepeppelt, unterhalten, amüsiert sein will.

 

Die Konzentration schwindet wie die Mündigkeit eigenen Urteils.

 

Wo von links bis rechts sich alles aus derselben Kasse speist. Wo es keine Kriterien gibt, nur unglaubwürdige Kanons, weil der Markt längst alles überflutet.

 

Das Kennzeichen aller Provinz, daß es keine Auseinandersetzung mehr gibt, nur Orden, Verdienste.

 

Der Sumpf, in dem die Unkreativen aufblähen sich, gedeihen, in dem die Mäzene den Polikern schmeicheln und austauschbar die Autoren als Marionetten hüpfen lassen.

 

Figurentheater ist alles. Aber niemand darf die Fäden benennen, an denen sie hängen.

 

Es lohnt kein Geschimpfe. Es lohnt kein Dagegen. Das erntet nur Spott. Das Problem ist, daß das Wort, der Text völlig egal ist. Es kommt nur auf den Namen an. Und der wird gemacht. Aber nicht mehr vom Schreiben, vom Wort, vom Text. Promotion Tour. Vernetzung der Medien.

 

Der ganze Holocaust in einem Band.

 

Man schreckt vor nichts mehr zurück.

 

Es ist eine traurige Geschichte. Und es bleibt eine traurige Geschichte.  Und soll man eine traurige Geschichte erzählen, darstellen oder auch nur erwähnen ?

 

Am Ende blieb das weiße Leinentuch, Totentuch auf der leeren Bühne und das schwarze Kabel geschlängelt einer Beleuchtungskamera.

 

Den Füßen der Berge hat man die Zehen geschält und Theater halbrund eingerichtet.

 

In den leeren steinernen Sitzreihen des alten römischen Theaters in Mainz, an dem die Züge der Neuzeit vorbeisausen, werden des Morgens die Nebel tief auf ausgegrabenem Marmor und Granit lasten, ehe die Krähen mit ihrem Kraa die Stille zerfetzen.

 

Graffitis sind die Dialoge der Wand. Einer wird mit einem rostigen Nagel einritzen in die steinern kalte stumme Glätte : Ananke oder 68 oder Theatrum mundi.

 

 

   
29.August 2008  
 

 

 

 

Das Gedicht, die Liebe und die Therapie

 

Sein Vater war Uhrmacher gewesen. Großvater und Onkel auch. Die Zeit zu messen, war ihr Beruf. Die Zeit zu verändern, seiner. Andere Erfahrungen von Zeit. Dem Nichtmessbaren Raum auch zu geben, der sich verwirklicht in unserer Zeit.

 

Therapie, Liebe, Gedicht war doch alles gleich. Oder gab es da Unterschiede ?

 

Im Gelingen nicht, nur im Mißlingen.

 

Wenn es glückt, ist es dasselbe und kann anders nicht sein.

 

Es ist immer Anfang.

 

Anfang einer Begegnung, an der Teilhabe einer gemeinsamen Zeiterfahrung, wo man konfrontiert ist mit einem Gegenüber.

 

Es ist Anfang immer, der nie endet.

 

Ein Feuer, das nie verlöscht. Ein Atem, der durch den Tod hindurch geht.

 

Der Schlußpunkt eines Gedichts ist immer auch der Anfang eines anderen.

 

Liebe endet nicht. Sie ist ja gerade das Wagnis und Hineinwachsen in das was da übersteht, dauert, sich löst vom Tod, Findung, die nicht kurzfristig nur Betäubung ist.

 

So ist Therapie Wagnis auch immer. Ihr Ende zu wissen, hieße, den Anfang erst gar nicht aufnehmen zu brauchen, sich zu ersparen.

 

Eine Therapie wie auch ein Gedicht ist das Wagnis offener Leere. Die nicht vorbestimmt ist allein von vermeintlichen Konflikten, anzustrebenden Lösungen, die vielleicht das Problem nur verdecken. Wie in der Liebe ist Therapie und ein Gedicht das Fallenlassen aller Schablonen, die Chance einer Begegnung, die Findung sein kann, weil nichts vorgegeben ihr ist. Ein Wagnis, das man auch bereit sein muß, einzugehen, daß scheitern kann, aber auch daher die Chance hat Fesseln des Zwangs lösen zu können, wo man im Fallen des Abgrunds von Flügeln getragen wird, die man noch gar nicht gekannt.

 

Therapeuten, die also meinen, die Therapie ist beendet, sich zu verabschieden für immer, die Bilanz ihrer Buchungen gezogen zu haben, haben eigentlich nie begonnen, je zu therapieren.

 

Eine Liebe, die schon meint, die Flammen zählen zu können, in der hat das Feuer nie gezündet.

 

In ihr ist der Brand schon erloschen, der unaufhörlich Wälder verbrennt und immer wieder neu ergrünen läßt.

 

Auch für den Therapeuten ist die Therapie Wagnis. Denn er weiß, ein Gelingen das ist Änderung immer. Eine Liebe ja auch. Aber das ist Bereicherung immer und geht nicht, wenn man die Welt aufteilt :

 

Dort ist der Dichter und dort ist das Produkt, das Gedicht. Dort ist der Therapeut und dort sein gnädig wertzuschätzender Klient, der auch als Kunde noch bezahlt, bzw. für den gezahlt wird von den mächtigen Hydraarmen staatlicher Krankenkassen und Institutionen. Dort ist das Subjekt und dort das zu behandelnde Objekt. Hier ist die Lösung, das Wissen und dort der Konflikt und die Schatten.

 

Licht und Schatten sind tiefer und anders verstrickt.

 

Liebe, Therapie, Gedicht heißt einfach wahrnehmen.  Und sich nicht sperren dagegen. Zuzulassen. Das heißt gerade sich zu öffnen. Nicht zu blockieren.

 

In einem solchem Prozeß entsteht Sprache neu und bleibt nicht dieselbe, weil sie gespeist wird mit Facetten, die nur in Beziehung zu einem andern sich neu entfachen und prismenartig alle Sprachgewohnheiten neu reflektieren lassen.

 

So in der festgefügten Ordnung des Gedichts hat das Wort ja seinen festen Ort, gerade weil es an dieser und nur an dieser Stelle neue Brechung des ganzen Kontexts ist.

 

Es ist nicht ersetzbar durch eine Interpretation. Nur ein schlechtes Gedicht hebt sich mit einer Interpretation auf. Atem, Haut, Augenaufschlag und Augenblick sind nicht übersetzbar, austauschbar. Ambiguität und die Freiheit ihres Wagnisses tilgt nicht aus die Berührung des Unfaßbaren.

 

Das, was man zuvor nicht vermutet, im Abgrund endet die Beliebigkeit, wächst eine neue Präzesion. Auch wenn diese nicht testbar und entzifferbar immer ist. Ihre Exaktheit ist genauer. Ich messe die Zeit anders als meine Väter und Vorväter.

 

Die Wissenschaft der Psychologie ist vielleicht der Versuch, die Seele zum Uhrwerk zu machen.

 

Aber die Seele ist die Unruhe, die im Zeitlosen schwingt wie sie auch im Zeitlichen ganz jetzt und hier tickt.

 

Du tickst nicht richtig. Ist der Vorteil des Patienten. Der Konflikt ist der Motor, der seine Fassaden durchbricht.

 

Der Therapeut hat es da schwieriger. Empathie alleine reicht nicht. In sich hineinsehen, wo die helle Welt seiner Aufklärung und seiner Privilegien am Ende doch Schatten wirft im Machtgefälle zum Gegenüber, die er so nicht gewollt.

 

Wenn der Therapeut seine Fassaden nicht durchbricht, bleibt er am Ende Guru oder versteinerte Sphinx.

 

Der erfolgreiche Dichter vermag ebenso zum Etikett degradieren. Der Dichter, der meint, sich gefunden zu haben, die Weisheit zu besitzen, die Wahrheit auf den Lippen, von dem hat das Schweigen sich bereits verabschiedet, aus dem allein Neues entsteht.

 

Wer meint, genau zu wissen, was ein Gedicht ist, sollte Germanist werden. Nie Dichter.

 

Linguisten sollten mit den Uhrmachern der Seelen Papageien züchten und in ihren Gärten Digitalgewächse anbauen.

 

Pädagogen sollten erst mal an Spielautomaten üben, was ein Kind ist, Zufall, Gewinn oder nie enden wollende Serie.

 

Sexualtherapeuten sollten einfach nur selber glücklich sein.

 

Hypnotiseure nicht in den Spiegel gucken.

 

In den systemischen Spielwiesen rangelt sich alles. Die Erde ist aufgewühlt von tausend Regenwürmern, die Angst haben, daß vom Himmel kein Regen mehr fällt und die Erde vertrocknet.

 

Man traut der Bischöfin Käsmann zwar alle Karriere zu, aber keinen Regen mehr.

 

Wer liest, was der Papst über die Tochter Zion schreibt, erbleicht. In ihm lacht die Schwarze Madonna. Er ist feministischer als alle seine Gegensacher.

 

Wir müssen uns bewegen in den Bildern dieser Welt. In den Legenden, die keine Mythen mehr sind, und die uns täglich geliefert werden von den Mumienwächtern heutiger Pharaonenanstalten : den Journalisten der Medien.

 

Aber es hat sich nichts geändert. Das goldene Kalb bleibt das goldene Kalb, auch wenn es sich noch so vermehrt.

 

Die Bundeslade ist leer. Der Dichter weiß noch,  was er verloren hat.

 

Der brennende Dornbusch, aus ihm allein schöpft Atem noch was in den Schatten nicht erstickt noch aufgrellen sich läßt zum blendenden Irrlicht.

 

Gedicht, Therapie, Liebe das ist ein Feuer.

 

Ein Wagnis, Mensch zu sein inmitten versteinerter Strukturen, verflüssigter verflachter Begierden, verwässerter Wahrheiten.

 

Worte sind Splitter brennenden Dorns.

 

Das Gedicht bindet sie zu einer momenthaft vergänglichen Krone.

 

Liebe ist etwas, ohne das etwas nichts ist.

 

( das jedes Gedicht eigentlich Liebesgedicht ist, schrieb ich als Student einem Professor, keine Antwort, aber auf dem Klappentext seiner Gedichte fand ich den Satz dann wieder )

 

Was die evangelische Kirche verlernt hat, einst ihr großer Beitrag, daß das Wort lebendig ist, Leben schafft, Fleisch wurde, schöpferisches Denken, das alle Schablonen durchbricht, rausreißt aus der verbeamteten erstarrten Lähmung und saturierten Langeweile, das bleibt in jedem Alltag, jedem Gespräch, jeder Therapie, jedem Gedicht. Das Wort ist der Stachel gegen den Tod gezückt,  daß der Hydra der Zwänge, Ängste und Ausflüchte den Kopf abschlägt.

 

Die Thora eine Rolle, Schriftzeichen, Buchstaben, Zahlen, Geheimnisse, in der die Worte aus dem Atem der Schöpfung und des ersten Tags, aus Verfolgung, Verrat und Lobgesang  lebenspendende Schöpfung wiederum selber wurden.

 

Ob Schamanismus, Zen-Buddhismus, Tao, Koran oder indianische Weisheit, jede Religion spürte, was aber auch reflektierender Atheismus oder Nihilismus zu spüren vermag, um aus der Erstarrung heraus zu lösen sich,  bedarf es oft Mittler. Wie immer die auch heißen mögen, Priester, Schamanen, Therapeuten, Helfer…egal. Die Mittler ermitteln was an Mitte verlorenging. Dies ist ein lebendiger neuschaffender Prozeß, der die Mittler selbst miteinbezieht in das Wagnis der Veränderung, der Suche und Findung möglicher Lösungen. Passivität der Verwertbarkeit und des Konsums reicht da nicht aus. Zwangsfröhlichkeit auch nicht. Das Verdrängte versteckt, verbirgt oder behütet die Asche, aus der im Wagnis zu dem Unbekannten neue Funken und Flammen zu schlagen vermögen. Sie setzen die Welt in Brand, der gespeist ist aus einem tiefen Atem der Liebe, die sich in neuer Wachsamkeit und unvoreingenommener Wahrnehmung öffnet der Gegenwart, weil sie sich gewiß ist einer Verheißung, die über den Tod hinausgeht. Uhrwerke messen die Zeit, aber sie fassen sie nicht. Seine eigene Zeit zu werden und nicht abgegrenzt zu sein vom Gespräch der Menschheit,  das bereichert auch den Atheisten über den Tod hinaus.

 

Brot und Wein ist für Hölderlin wie für den Christen der Zugang an jener Teilhabe, die sich uns nur schenkt, wenn wir auch zulassen, daß sich uns etwas schenkt, daß wir tiefer und reicher zu leben und zu sterben vermögen.

 

In der Gnade zu sein, ist etwas, was wir noch nicht in der Konsumgesellschaft zu bestellen vermögen. In der Gnade, die Veränderung immer ist, bei sich, dem Gegenüber, in der Beziehung zueinander, im Gespräch, in der Sprache, in der Bedeutung des Worts, in der Intonation, in der Liebe, in der Berührung, im Blick, in allem.

 

In der Gnade zu sein heißt, es glückt und es gelingt, Therapie, Liebe, Gedicht.

 

Es ist ein und dasselbe.

 

Vor mir hier in Cartosio über Steinplatten sich erhebend ein hoher grünender Busch. Weißer Nebel statt Blüten. Eingerollt ganz fahl weiße Blättchen, unauffällig, die man übersieht. Sieht man jedoch näher hin, könnte man meinen, fahlweiße Insektenkokons seien hier ans Blattwerk geraten.

 

Der Busch zeigt mir, daß Zeit nichts unveränderbar Stillstehendes nur ist.  Derselbe Busch zu einer anderen Tageszeit und Stunde strahlt weithin seine leuchtend blauen Kornblumenblüten. Deren tiefes Blau nur überlebte in der Hitze des Sommers hier, weil es sich ganz unscheinbar fahl hinter tarnender Weiße zu verbergen und zu schützen vermochte.

 

 

*    *   *

 

 

Das Gras verdorrt

 

auf meiner Lippe

Asche nur

 

die schwarze Madonna

 

pflückt rote Mirabellen

 

und legt sie auf Gräbern

mit eisernen Griffen

 

das Wunder Leben

daß da Schöpfung ist

 

beseelt

 

und selbst im Tod

 

keine Sichel den Segen

zu trennen vermag

 

Tochter Zion freue dich

 

*   *   *

Cartosio, 13. Juli 2008                                 Friedrich G. Paff

 

  siehe auch links zu :  

 

  http://www.yael-elya.de/index.php?spath=349&

 

  http://www.yael-elya.de/data-live-soko/docs/flyer%20pb%20projekt%20vorne.pdf

 

  http://www.yael-elya.de/index.php?spath=373